Geografische Koordinatensysteme

Martin Kompf

50. Breitengrad
Auf dem Eifelsteig unweit von Landscheid trifft der Wanderer auf eine Tafel, die auf die Überquerung des hier verlaufenden 50. Breitengrades hinweist. Ein mitgeführtes GPS Gerät zeigt jedoch eine geografische Breite von 49.99891 Grad an. Ein tolerierbarer Messfehler - oder steckt mehr dahinter?

Hinweis: Zur Darstellung von Dezimalzahlen wird in diesem Artikel die englische Notation benutzt, das heißt das Dezimaltrennzeichen ist der Punkt.

Hundert Meter daneben?

Die Differenz zwischen angezeigter und erwarteter geografischer Breite beträgt 0.00109 Grad. Berücksichtigt man, dass der Abstand zwischen zwei Breitenkreisen 111.3 Kilometer beträgt, so ergibt das immerhin einen Fehler von 121 Metern. Das liegt deutlich über der erwarteten Lokalisierungsgenauigkeit des GPS Empfängers von etwa 15 Metern!

Die Erde als Ellipsoid

Zur Erklärung der Diskrepanz muss man sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es nicht ausreichend ist, einen Punkt auf der Erde einfach mittels zweier Koordinaten, wie »6.79867° Ost, 49.99891° Nord« zu lokalisieren. Auf jeden Fall gehört die Angabe des Geodätischen Datums mit dazu. Der Grund hierfür liegt in der Gestalt der Erde, die ein unregelmäßig geformtes Geoid darstellt. Da man mit einem Geoid jedoch nur sehr umständlich rechnen kann, benutzen gängige geodätische Verfahren ein Rotationsellipsoid zur Annäherung. Allerdings gibt es keine einheitliche Festlegung für das Erdellipsoid. Jenachdem, an welcher Stelle der Erdoberfläche man sich befindet, kommt man nämlich zu unterschiedlichen Ergebnissen für das bestanschließende Ellipsoid. Die folgende Abbildung veranschaulicht das:

Geoid und zwei Ellipsoide

Die schwarze Line stellt die unregelmäßige Gestalt der Erdoberfläche dar. Man kann sie durch verschiedene Ellipsoide (rot und blau) approximieren. Die Genauigkeit der Annäherung variiert dabei von Ort zu Ort: Während Ellipsoid 1 die Erdoberfläche im Bereich von F1 relativ genau nachbildet, würden die Bewohner der Gegend um F2 wahrscheinlich eher Ellipsoid 2 als Referenzsystem wählen. Aus diesem Grund gibt es in der Geodäsie dutzende verschiedener Definitionen von Ellipsoiden, da in der Vergangenheit jedes Land sein eigenes geodätisches Datum festgelegt hat. Erst die Verbreitung des weltumspannenden Global Positioning Systems (GPS) schuf eine Vereinheitlichung, welche auf dem Referenzellipsoid WGS 84 beruht. WGS steht hierbei für »World Geodetic System« - einem globalen Referenzsystem, welches eine optimale Approximation der Erdoberfläche weltweit erreichen will.

WGS 84 und Potsdam-Datum

Der für die Messung verwendete GPS-Empfänger war tatsächlich auf das WGS 84 Datum eingestellt. Im zugrundeliegenden WGS 84 Ellipsoid haben die beiden Halbachsen a und b eine Länge von 6378137.0 beziehungsweise 6356752.314 Metern. Doch auf welches Datum bezieht sich die Angabe auf dem Schild? Vielleicht auf das in Deutschland ehemals weitverbreitete Potsdam-Datum, welches das Bessel Ellipsoid mit den Halbachsen a=6377397.155 und b=6356078.963 m verwendet. Sein Mittelpunkt ist gegenüber WGS 84 um 606.0, 23.0 und 413.0 Meter in x, y und z-Richtung verschoben. Diese Vermutung lässt sich durch eine Koordinatentransformation überprüfen.

Koordinatentransformation mit cs2cs ...

Ein gängiges Tool zu Umrechnung geografischer Koordinaten ist das Programm cs2cs aus der PROJ.4 - Cartographic Projections Library. Proj.4 liegt komplett im Sourcecode und als Binärdistribution für Linux und Windows vor. Viele Linuxdistributionen führen Proj.4 in ihren Repositories, sodass hier ein einfaches

sudo apt-get install proj-bin

die Installation vornimmt.

cs2cs erwartet die Inputkoordinaten auf seiner Standardeingabe, das Ergebnis erscheint dann auf Standardausgabe. Kommandozeilenparameter sind die Projektion (lonlat für geografische Koordinaten) und das Datum der Eingabe (WGS84) und Ausgabe (potsdam). Der Parameter -f spezifiziert die Genauigkeit der Ausgabe, hier sechs Stellen nach dem Komma:

echo "6.79867 49.99891" | cs2cs -f "%.6f" +proj=lonlat +datum=WGS84 +to +proj=lonlat +datum=potsdam
6.799352 50.000097

... und online

Alternativ kann man die Umrechnung auch online auf Coordinates transformation on-line vornehmen, das eine Art Web-Frontend für cs2cs darstellt. Auf der Seite ist als Inputkoordinatensystem bereits WGS 84 (SRID=4326) ausgewählt. Für die Auswahl des Outputkoordinatensystem tippt man zunächst DHDN in die Suchbox ein und selektiert dann DHDN (SRID=4314) aus der Ergebnisliste. DHDN ist die Abkürzung für »Deutsches Hauptdreiecksnetz«, welches auf dem Potsdam-Datum beruht. Nach Eingabe der Inputkoordinaten 6.79867 49.99891 und Klick auf »Transform« sollte das gleiche Ergebnis wie oben erscheinen.

Die hinter dem Namen des Koordinatensystems angezeigte SRID steht für »Spatial Reference IDentifier« und ist eine eindeutige Kennung für das Koordinatensystem. Andere in der Vergangenheit hierfür verwendete Abkürzungen sind SRS und CRS. Kennt man die SRID, dann lässt sich cs2cs auch mit weniger Tipparbeit aufrufen:

echo "6.79867 49.99891" | cs2cs -f "%.6f" +init=epsg:4326 +to +init=epsg:4314 
6.799352 50.000097

Das Ergebnis ist natürlich das gleiche. EPSG ist die Abkürzung von European Petroleum Survey Group Geodesy, welche die SRIDs ursprünglich definiert hat. Im konkreten Fall referenziert die Option epsg auf der cs2cs-Kommandozeile die Datei epsg (unter Linux im Verzeichnis /usr/share/proj/). Öffnet man diese Datei in einem Texteditor, so lassen sich die Definitionen tausender Koordinatensysteme recherchieren.

Fazit

Die Koordinatentransformation liefert als Ergebnis eine geografische Breite von 50.000097° Nord (Potsdam Datum). Die Differenz zum ausgeschilderten Wert beträgt jetzt nur noch 0.000097 Grad und damit weniger als 11 Meter! Das ist im Rahmen der Genauigkeit von GPS ein akzeptables Ergebnis. Sowohl der GPS-Empfänger als auch die Tafel im Gelände zeigen den korrekten Wert an. Die Vermutung, dass der Aufsteller der Tafel im Potsdam-Datum gerechnet hat, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigt. Man sieht jedoch eindrucksvoll, dass jede Koordinatenangabe unbedingt das verwendete geodätische Datum enthalten sollte - andernfalls kann man sein Ziel leicht um mehr als hundert Meter verfehlen!